Doing Grande Région

Christian Wille

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Der Überblick zu den am häufigsten grenzüberschreitend ausgeführten Praktiken in der Großregion SaarLorLux auf Grundlage verschiedener Studienergebnisse rekonstruiert die Lebenswirklichkeiten ihrer Einwohner. Er ergänzt ferner vorliegende Befunde im Bereich der grenzüberschreitenden Arbeitspendler- und Wohnmobilität und zeigt einen Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Mobilitätsphänomenen auf.

Außerdem macht er einen Zusammenhang mit Blick auf den Wohnort der Befragten deutlich, insofern als in Grenznähe wohnende Personen besonders oft in eine (direkt) angrenzende Region fahren.

Die grenzüberschreitenden Ausführungen von Alltagspraktiken sind daher als grenzüberschreitende Lebenswirklichkeiten v.a. entlang der Grenzsäume in der Großregion SaarLorLux zu beobachten (vgl. auch Scholz 2011: 174; Cavet/Fehlen/Gengler 2006: 30). Für die grenzüberschreitenden Lebenswirklichkeiten spielt das zentral gelegene Luxemburg eine wichtige Rolle.

Karte: Grenzüberschreitende Alltagspraktiken

Karte: Grenzüberschreitende Alltagspraktiken

Christian Wille, Université du Luxembourg

Einerseits zieht es aufgrund von Grenzgängerbeschäftigung, bestimmten Besteuerungsmodalitäten, attraktiven und mehrsprachigen Freizeit- und Kulturangeboten viele Einwohner der angrenzenden Regionen an (vgl. auch Scholz 2011: 172; Cavet/Fehlen/Gengler 2006: 30). Andererseits erweisen sich die weitgehend mehrsprachigen Einwohner des Großherzogtums im Rahmen von Alltagspraktiken ausgesprochen mobil.

So wurde z.B. festgestellt, dass v.a. Einwohner mit luxemburgischer Staatsbürgerschaft häufiger im angrenzenden Deutschland shoppen als im Wohnland, wobei Luxemburger generell stärker zum angrenzenden Deutschland und die ansässigen Ausländer stärker zum angrenzenden Frankreich und Belgien orientiert sind.

Die ehemalige Grenzkontrollstelle Nennig wird heute von einem Imbiss genutzt
Foto: C. Wille

Die Einwohner der beiden deutschen Bundesländer erledigen Alltagspraktiken grenzüberschreitend v.a. im benachbarten Luxemburg und Frankreich, wobei unterschiedliche räumliche Schwerpunkte auszumachen sind: Die Einwohner des Saarlandes suchen häufiger das angrenzende Frankreich und die Einwohner von Rheinland-Pfalz häufiger Luxemburg auf, was mit der jeweiligen geographischen Nähe, den Arbeitsmarktverflechtungen und der grenzüberschreitenden Wohnmigration (vgl. Wille 2011) erklärt werden kann.

Ähnlich verhält es sich mit den Einwohnern der beiden französischsprachigen Regionen, die häufiger als die Einwohner der deutschen Bundesländer Alltagspraktiken v.a. in Luxemburg ausführen, sich aber mit Blick auf das angrenzende Deutschland unterscheiden: Die Einwohner Lothringens bestätigen hier die oben thematisierte Alltagsmobilität an der deutsch-französischen Grenze; die Einwohner Walloniens fahren nur selten ins angrenzende Deutschland.

Als Freizeitdestination wird das angrenzende Frankreich besonders oft für Erholungspraktiken im Grünen bzw. für touristische Ausflüge von den Einwohnern der angrenzenden Regionen aufgesucht; Belgien hingegen spielt für grenzüberschreitende Alltagspraktiken eine insgesamt eher nachrangige Rolle.

Die Gesamtschau der Mobilitätsströme und bevorzugten Destinationen spiegelt Regionalisierungsprozesse (vgl. Werlen 1997) wider, die auf eine lebensweltliche Fragmentierung der Großregion SaarLorLux hindeutet. Diese äußert sich in ausgeprägten Mobilitätsströmen im Zuge von grenzüberschreitenden Alltagspraktiken zwischen Luxemburg und den beiden deutschen Bundesländern sowie zwischen Luxemburg, Lothringen und Wallonien.

Diese räumliche Fragmentierung ist – neben anderen Erklärungsansätzen – zugleich als eine sprachräumliche Fragmentierung zu verstehen, zeichnet sich hier doch eine Dichotomie zwischen deutsch- und französischsprachigen Teilgebieten ab, die die intermediäre Position Luxemburgs bzw. ihrer Bewohner erneut deutlich macht.

Auch wenn – wie hier mehrfach konstatiert – die Großregion SaarLorLux verschiedene räumliche Zuschnitte besitzt, ihr Name nicht hinreichend aussagekräftig ist, das politische Konzept ‚Großregion SaarLorLux’ bei vielen Einwohnern nicht ‚ankommt’ oder die Zusammenarbeit der politischen Partner oft mühselig ist, hat dieser Beitrag gezeigt, dass es die Großregion SaarLorLux gibt.

Sie manifestiert sich als grenzüberschreitende Lebenswirklichkeit ihrer Bewohner, die sie über Alltagspraktiken (immer wieder aufs Neue) konstituiert. Diese an der sozialen Produktion von (Grenz-)Räumen interessierte Perspektive fragt also nicht danach, was die Großregion SaarLorLux ist, sondern wie sie praktiziert wird – oder in anderen Worten: in welchen grenzüberschreitenden Praxisformationen – sowohl auf Ebene der Lebenswirklichkeiten als auch der politischen Konstruktionen – sie sich materialisiert.

Diese sozialkonstruktivistische Sichtweise im Sinne eines „Doing Grande Région“ (Wille 2010) erscheint für die border studies im Allgemeinen und in der Großregion SaarLorLux im Besonderen vielversprechend. Denn sie vermag den Umstand aufzulösen, dass viele Bewohner grenzüberschreitend mobil sind – also ‚Großregion SaarLorLux machen’ –, sich aber nicht bewusst sind, dass man dies so bezeichnen könnte.

Das Musée d'art moderne Grand-Duc Jean (MUDAM) auf dem Luxemburger Kirchberg. Im Vordergrund das Fort Drei Eicheln
Foto: cc Damacar1 2011

Ferner lässt sie unterschiedliche räumliche Zuschnitte und Konstellationen der politischen Zusammenarbeit nebeneinander zu und gerät nicht in einen Theoriekonflikt mit einer Großregion SaarLorLux, die lebensweltlich v.a. entlang der Grenzsäume und politisch in unterschiedlichen Geschwindigkeiten ‚stattfindet’.