Luxemburg

Eisen- und Stahlerzeugung im Luxemburger Minett

Paul Thomes, Marc Engels

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Die Eisen- und Stahlindustrie war bis zur Krise der 1970er Jahre eine der wichtigsten Säulen der luxemburgischen Volkswirtschaft. Sie dominierte über mehr als 100 Jahre den industriellen Sektor des Landes.

Im Unterschied zu Belgien, Deutschland und Frankreich hatte sie nie einen starken Nationalstaat hinter sich, der ihre Interessen vertrat. Ebenso charakteristisch war die ausgeprägte unternehmerische Konzentration der Branche: Seit 1911 dominierte die ARBED (Aciéries Réunies de Burbach-Eich-Dudelange SA) die Stahlproduktion in Luxemburg.

Ihre Grundlage bildeten die Minettevorkommen an der südwestlichen Grenze zu Frankreich, die etwa drei Prozent des lothringischen Erzbeckens ausmachen. Nach ihrer Entdeckung in den 1840er Jahren siedelten sich rasch diverse Unternehmen an.

Um Rumelange, Differdange, Dudelange und Esch-sur-Alzette entstand das luxemburgische Stahlrevier. Die 1845 gegründete Société Metz etablierte sich bald als führendes Unternehmen.

Karte: Eisen- und Stahlindustrie

 

Eisen- und Stahlindustrie

Paul Thomes, Marc Engels, RWTH Aachen

Sie war eine der Keimzellen der ARBED und baute als erste ein modernes Stahlwerk auf der Minette. Schnell entstand in Kooperation mit der südbelgischen Unternehmerfamilie Tesch ein integrierter Stahlkonzern (vgl. auch die Karten zu den übrigen Montanrevieren).

Zwei Ereignisse beeinflussten die Entwicklung der luxemburgischen Stahlindustrie im 19. Jahrhundert nachhaltig: der Beitritt zum deutschen Zollverein und der Eisenbahnbau. Der 1842 erfolgte Beitritt des Großherzogtums zum Zollverein verlagerte die bislang vorherrschende Orientierung nach Belgien und in die Niederlande zugunsten der deutschen Staaten.

Eicher Hütten Verein Metz & Cie., gegr. 1865 Quelle: Barthel, C. & J. Knirps 2009, S. 207; Archives Nationales de Luxembourg Briefkopf Metz & Cie., Werk Dommeldange 1892
Quelle: Barthel, C. & J. Knirps 2009, S. 170; Archives Nationales de Luxembourg

Zwar besaß Luxemburg nicht das politische Gewicht, um die Zollpolitik in seinem Sinne zu beeinflussen, es gewann jedoch das sich industrialisierende Deutschland als aufnahmefähigen Absatzmarkt und auch als Kapitalimporteur.

Die luxemburgische Regierung erteilte beispielsweise Erzkonzessionen nur dann, wenn ein substantieller Teil des Erzes auch in Luxemburg verarbeitet wurde.

Die Investitionen deutscher Stahlunternehmen trugen in der Folge entsprechend zur Entwicklung des Landes bei. Gleichzeitig investierten luxemburgische Eisen- und Stahlunternehmer außerhalb des Landes, etwa im Saarrevier, wo sie 1856 die Burbacher Hütte gründeten.

Ab 1859 entstand das luxemburgische Eisenbahnnetz. Es stellte effiziente Verbindungen mit den Nachbarrevieren und Märkten her und verbilligte u.a. den Bezug von Steinkohle und Koks, womit ein wesentliches Wachstumshemmnis beseitigt war.

Der Gründerboom und die darauffolgende Krise provozierten im Kontext der Einführung des Thomasverfahrens einen erheblichen Modernisierungsschub. Im Ergebnis verschwanden die traditionelle Verhüttung mit Holzkohle und das Puddelverfahren vom Markt. In Dommeldange, Esch, Rumelange und Rodange entstanden neue Stahlwerke.

Die Société Metz baute in diesem Stadium ihre führende Rolle aus. Es entstanden aber auch neue Gesellschaften wie die Société des Haut-Fourneaux de Rumelange, die Société des Haut-Fourneaux de Rodange oder die SA des Haut-Fourneaux Luxembourgeois. Gleichzeitig siedelten sich viele kleinere weiterverarbeitende Unternehmen an.

Das Thomas-Verfahren läutete in den 1880er Jahren eine neue Phase ein, die von Kapazitätsausbau und Konzentrationen geprägt war. Mit der neuen Technologie ließen sich Erze erstmals großindustriell zur Stahlherstellung nutzen.

Belgische Banken und deutsche Konzerne wie der Aachener Hütten-Aktienverein Rothe Erde und Felten & Guilleaume investierten in Luxemburg, der Gelsenkirchener Bergwerksverein oder die Deutsch-Luxemburgische Bergwerks- und Hütten AG  fusionierten mit luxemburgischen Unternehmen.

Als folgenreichste Fusion gilt der Zusammenschluss der Société Metz, der Société des Mines du Luxembourg, der SA des Mines du Luxembourg et Forges de Sarrebruck und der SA des Hauts-fourneaux et Forges de Dudelange zur ARBED im Jahre 1911.

Ziel dieses, durch die belgische Société Generale finanzierten Zusammenschlusses war die horizontale und vertikale Integration, welche die Spezialisierung der einzelnen Werke optimieren und die Rohstoffkosten reduzieren sollte. Dazu schuf sich der Konzern 1913 eine eigene Kohlebasis, indem er den Eschweiler Bergwerksverein im Aachener Revier übernahm.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs war die Luxemburger Stahlindustrie in fünf Gruppen organisiert: Der Gelsenkirchener Bergwerksverein, hinter dem der deutsche Krupp-Konzern stand, der Deutsch-Luxemburgische Bergwerksverein Bochum, die belgische SA d'Ougrée-Marihaye, die ein Stahlwerk in Steinfort betrieb, Felten & Guilleaume sowie die ARBED.

Sie hatten Luxemburg zu einem der wichtigsten Eisen- und Stahlproduzenten der Welt gemacht. Bei der Stahlproduktion rangierte das Land auf dem achten Platz, bei Gussstahl sogar auf dem sechsten. In Bezug auf die Pro-Kopf-Produktion nahm das Land weltweit mit Abstand die Spitzenposition ein – ein Zeichen für die Dominanz des Industriezweigs.

Minenarbeiter in Luxemburg
Quelle: Barthel, C. & J. Knirps 2009, S. 14, Coll. Marcel Klein

Ein Großteil der Produktion bestand aus Halbprodukten, die außerhalb weiterverarbeitet wurden. Die Branche war folglich auch fest in eine systematische, internationale Arbeitsteilung integriert.

Der Versailler Vertrag zog eine grundlegende Umorientierung in Richtung Frankreich und Belgien nach sich. Zuerst wurden die Kapitalverflechtungen mit der deutschen Industrie gelöst. Aus dem luxemburgischen Teil des Deutsch-Luxemburgischen Bergwerksvereins entstand die HADIR (= Hauts-fourneaux et aciéries de Differdange, St-Ingbert, Rumelange). Sie befand sich im Besitz eines belgisch-französischen Konsortiums, dominiert von der Société Lorraine des Aciéries Rombas und der Société Générale.

Die Anlagen des Gelsenkirchener Hütten-Aktienvereins gingen an ein Konsortium unter Führung der ARBED und der französischen Schneider-Gruppe. Sie bildeten zwei Gesellschaften: Die Société Métallurgique des Terres Rouges übernahm den Besitz in Luxemburg und den Aachener Hütten-Aktienverein Rothe Erde, die Société Minière des Terres Rouges übernahm die Stahlwerke und Gruben in Frankreich. Die ARBED wurde zum wichtigsten Stahlproduzenten Luxemburgs – sie war wohl der große Gewinner der Umgestaltung des Saar-Lor-Lux-Raumes.

Emil Mayrisch im Stahlwerk der ARBED in Esch-sur-Alzette, 1925
Quelle: Photothéque de la Ville de Luxembourg

Als nachteilig erwiesen sich die neuen Zollgrenzen, welche die luxemburgische und die lothringische Stahlindustrie von ihren deutschen Bezugsquellen und Absatzmärkten abschnitten.

Die 1920 von der ARBED und der Société Métallurgique gegründete COLUMETA (= Comptoir Métallurgique Luxembourgeois) sollte deshalb den Absatz luxemburgischer Stahlprodukte auf dem Weltmarkt befördern, während die 1922 gegründete Union Economique Belgo-Luxembourgeois (= UEBL) den Marktzugang nach Belgien erleichterte.

Die Grenzproblematik mit Deutschland neutralisierte eine privatwirtschaftliche Abmachung in Form eines internationalen Kartells. Unter der Führung des ARBED-Vorstandsvorsitzenden Emil Mayrisch entstand 1926 die Internationale Rohstahlgemeinschaft, an der sich die wichtigsten französischen, belgischen und deutschen Stahlkonzerne beteiligten.

Die ARBED erhielt als Gegenleistung für eine Begrenzung ihres Rohstahlexports nach Deutschland feste Quoten für den Export nach Südwestdeutschland. Das Abkommen sicherte ihr ihre Position auch auf dem französischen Markt. Gleichzeitig gelang auf diese Weise die Sicherung der Unabhängigkeit zwischen den beiden Nachbarstaaten.

Davon abgesehen waren die 1920er Jahre geprägt von Modernisierung, Rationalisierung und Kapazitätsausweitung. In Dudelange entstanden beispielsweise drei sog. "amerikanische Hochöfen" mit sehr großen Kapazitäten. 1929 produzierte Luxemburg 2,9 Millionen Tonnen Gussstahl, eine Menge, die bis 1951 nicht mehr erreicht wurde.

Gleichzeitig investierten die luxemburgischen Stahlerzeuger, allen voran die ARBED, vermehrt in die Weiterverarbeitung, insbesondere in Walzanlagen. Diese Orientierung folgte nicht nur Rentabilitätsvorgaben, vielmehr suchten die Unternehmen ihre internationale Marktposition zu stärken, wozu bspw. auch Investments in Brasilien beitrugen.

Die 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise ließ diese Strategie vorerst ins Leere laufen. Im Weltvergleich fiel die Stahlproduktion auch mittelfristig vom siebten Rang 1929 auf den neunten Rang 1939 zurück. Dies war vor allem italienischen und japanischen Produzenten geschuldet, welche nach dem Zweiten Weltkrieg zu ernsthaften Wettbewerbern der etablierten luxemburgischen, aber auch der deutschen und französischen Stahlproduzenten aufstiegen.

Vom Wiederaufbauboom nach dem Zweiten Weltkrieg profitierte die luxemburgische Eisen- und Stahlindustrie maßgeblich. Die Nachfrage überstieg das Angebot über mehrere Jahrzehnte hinweg bis zu Anfang der 1970er Jahre.

1960 erwirtschaftete die eisenschaffende Industrie bspw. knapp ein Drittel des Bruttosozialproduktes. Dahinter standen 32 Hochöfen, sieben Stahlwerke und sieben Walzwerke.

Neu war, dass die Stahlproduktion seit Anfang der 1950er Jahre regelmäßig die Roheisenproduktion überstieg. Dies lag im Import von Roheisen aus Lothringen sowie in der zunehmenden Verwendung von Schrott begründet.

Gleichzeitig verarbeitete man früh schwedische Erze und stellte seit Ende der 1950er Jahre die Stahlerzeugung auf das wegweisende Linz-Donawitz-Verfahren um. Die ARBED ließ eigens eine auf das phosphorhaltige Minetteeisen abgestimmte Modifikation entwickeln. 1968 wurde ein Drittel des luxemburgischen Stahls mit diesem Verfahren im neuen Stahlwerk in Esch-Belval hergestellt.

Ingenieure der luxemburgischen Stahlindustrie
Quelle: Barthel, C. & J. Knirps 2009, S. 12

Hochwertige Produkte, wie bspw. die in Belval und Rodange gefertigten Spundbohlen, oder die in Lizenz hergestellten Grey-Stahlträger, die mit effizienten und modernen Anlagen hergestellt wurden, begannen das Portfolio der ARBED zu prägen.

Das Unternehmen wandte sich so gesehen rechtzeitig vom schwieriger werdenden Massenmarkt ab, den bald kostengünstige Standorte außerhalb Europas bestimmen sollten. Der Rückgang des Weltmarktanteils von 1,4 Prozent (1952) auf ein Prozent (1965) bereitete vor diesem Hintergrund keine Probleme, zumal man auch die Standortfrage anging.

Eine Reaktion auf die zunehmenden Nachteile der traditionellen Binnenstandorte war die Gründung der SIDMAR (Société Sidérurgie Maritime) 1962 als gemeinsames Projekt mit der belgischen Cockerill; ein wichtiger Schachzug, der das Überleben der ARBED gerade in der folgenden Stahlkrise zu sichern half.

 

Das Stahlwerk Esch-sur-Alzette. Im Vordergrund eine Arbeitersiedlung, 1955
Quelle: Barthel, C. & J. Knirps 2009, S. 86

Das Unternehmen betrieb im belgischen Gent, mit direktem Kanalanschluss zur Scheldemündung, eines der modernsten Stahlwerke Europas und wurde bald zum Aushängeschild und profitabelsten Unternehmensteil des Konzerns.

Die ARBED avancierte derweil zum einzigen Stahlproduzenten Luxemburgs. Sie übernahm 1967 die HADIR und beteiligte sich mit 25 Prozent an der MMR-A (SA Minière et Metallurgique Rodange-Athus).

Die Restrukturierung ermöglichte weit reichende Rationalisierungen, während die Jahresproduktion auf mehr als fünf Millionen Tonnen stieg. Gleichzeitig intensivierte sich einmal mehr die traditionell ausgeprägte internationale Verflechtung des Unternehmens.

Die 1973/1974 einsetzende Dauerstahlkrise traf das Unternehmen und das Großherzogtum mit voller Härte. Zwar war der Anteil des Stahlsektors am Sozialprodukt schon in den 1960er Jahren zurückgegangen; dies lag jedoch an der wachsenden Ausdifferenzierung, in deren Verlauf der Dienstleistungssektor zu einem wichtigen Wachstumssegment wurde.

Trotzdem erwirtschaftete die Stahlindustrie Mitte der 1970er Jahre noch 15% des Bruttosozialprodukts. Sie stand für 60% der Exporte und beschäftigte 12% der Arbeitnehmer. Die Stahlkrise traf also die gesamte, im produzierenden Gewerbe noch recht monolithische Wirtschaft.

Die ARBED begegnete dem Nachfrageeinbruch mit Restrukturierung und weiterer Expansion. In zwei Rationalisierungswellen 1978/1979 und 1983/1984 konzentrierte man die Stahlproduktion auf die modernen Hochöfen in Esch-Belval, Differdange und Schifflange.

Überdies baute die ARBED unter strategischen Aspekten ihre Position im Minette-Revier aus, indem sie die MMR-A sowie im Saarland 1982 Röchling-Burbach und die Neunkircher Eisenwerke unter der Firma ARBED Saarstahl vollständig übernahm. Die so erzielten Synergien ermöglichten die Umsetzung einer effizienten Rationalisierungsstrategie. Ziele waren die Produktion in möglichst großen und modernen Einheiten sowie der Erhalt des Stahlstandorts Luxemburg.

 

Die Umsetzung meisterte der Konzern noch weitgehend aus eigener Kraft. Kaum waren die Restrukturierungsprogramme abgeschlossen, folgte jedoch der nächste, noch ärgere Rückschlag. Die zweite Stahlkrise brachte die ARBED in den 1980er Jahren an den Rand des Ruins.

Das Geschäftsmodell bedurfte einer grundlegenden Revision. Einerseits trennte man sich von Saarstahl, verstärkte sein Engagement bei SIDMAR und baute seine luxemburgischen Kapazitäten ab. U.a. wurde das Stahlwerk in Dudelange stillgelegt.

Andererseits diversifizierte man zwischenzeitlich, um den zyklischen Verlauf der Stahlbranche abzumildern. Trotz aller unternehmerischen Anstrengungen überlebte die Gruppe nicht zuletzt nur dank massiver staatlicher Hilfen.

Ende der 1980er Jahre erholte sich die ARBED im Ergebnis einer anziehenden Stahlkonjunktur von der Krise und nahm ihre Expansionsstrategie wieder auf. Sie kaufte nach und nach die staatlichen Beteiligungsanteile u.a. an SIDMAR zurück, akquirierte außerhalb des Saar-Lor-Lux-Raumes an geeigneten Standorten in Spanien, Italien oder Brasilien und erwarb bspw. 1994 über die SIDMAR vom Klöckner Konzern die 1957 gegründeten Stahlwerke Bremen.

Dommeldange, Abriss des 1865 erbauten Hochofens, 1901
Quelle: ARBED. Un demi-siècle d’histoire industrielle 1911-1964, o.O. [1964], S. 22

Die luxemburgischen Kapazitäten erfuhren derweil einen grundlegenden und schmerzhaften Umbau. Die 1993 getroffene Entscheidung zum konsequenten Umstieg auf die Elektrostahlproduktion bedeutete das Aus sowohl für die luxemburgischen Hochöfen – der letzte wurde 1997 stillgelegt – als auch für die Linz-Donawitz-Konverter.

An ihre Stelle traten hochmoderne Elektrostahlwerke in Esch-Schifflange, Esch-Belval und Differdange, die bis zum heutigen Tag existieren. Die alten, von Kohle und Erz bestimmten Standortfaktoren waren damit quasi bedeutungslos geworden.

 

Walzwerk Schifflange
Foto: Thomes 2009

Nur eine scharfe Rationalisierung im Verbund mit einer weiteren Internationalisierung und einem drastischen Arbeitsplatzabbau vermochte die Konkurrenzfähigkeit des Standorts Luxemburg zu sichern.

Entsprechend gestalteten sich die sozialen Auswirkungen der bis dato grundlegendsten Restrukturierung der Produktion im Stammland.

Die Zahl der ARBED-Beschäftigten in Luxemburg sank von mehr als 27 000 (1973) über 11 000 (1989) auf noch etwa 5 000 im Jahr 2000. Den Arbeitsplatzverlust half das sog. Luxemburger Sozialmodell abzufedern, ohne dass adäquate Ersatzarbeitsplätze in ausreichender Zahl geschaffen werden konnten.

Im Ergebnis behauptete die ARBED ihre Position als einer der wichtigen Stahlproduzenten der Welt. Allerdings trugen die luxemburgischen Anlagen nur noch mit etwa 10 Prozent zur Produktion bei.

Vorausgegangen waren weitere Akquisitionen und Fusionen im Zuge des globalen Trends zur Größe, dem sich - begünstigt durch eine allgemeine staatliche Privatisierungspolitik - auch die Stahlindustrie nicht zu entziehen vermochte. Der Konzern, der schon längst kein luxemburgisches oder europäisches, sondern ein Weltunternehmen war, gestaltete diese Entwicklungen tatkräftig mit.

1997 erwarb man 35% an dem bis dahin staatlichen spanischen Stahlkonzern Aceralia. 1999 folgte die Übernahme der vollständigen Kontrolle bei SIDMAR, durch Übernahme des Anteils der belgischen Staatsholding Gimvindus.

Wiederum zwei Jahre später, 2001, folgte ein wahrer Paukenschlag, als sich ARBED mit Aceralia und der französischen USINOR-Gruppe (vgl. dazu näher die Karte zu Lothringen) unter der Firma Arcelor mit Sitz in Luxemburg zusammenschlossen.

 

Der im Februar 2002 erstmals an der Börse notierte Weltkonzern vereinigte u.a. quasi die gesamte Stahlindustrie des Saar-Lor-Lux-Raumes unter einem Dach und war am Umsatz gemessen zeitweise der größte, nach Tonnage der zweitgrößte Stahlhersteller der Welt.

2005 bilanzierte Arcelor mit rund 96 000 Mitarbeitern in mehr als 60 Ländern rund 32,6 Milliarden Euro Umsatz und über 3,8 Milliarden Euro Reingewinn. Die Rohstahlproduktion belief sich in diesem Jahr auf knapp 47 Millionen Tonnen.

Die Stahlindustrie erstand derweil wie Phönix aus der Asche auf, und entsprechend groß war der globale Expansionshunger. So übernahm Arcelor im Februar 2006 für knapp 4 Milliarden Euro den größten kanadischen Stahlproduzenten Dofasco mit rund 11 000 Mitarbeitern und knapp 3 Milliarden Euro Umsatz.

Stahlproduktion in Luxemburg 1920-2010

Allerdings weckte der Erfolg Begehrlichkeiten beim zweiten großen Stahlproduzenten, der in den Niederlanden ansässigen, von der indischen Familie Mittal kontrollierten, 1989 gegründeten Mittal Steel, die etwa zeitgleich ein feindliches Übernahmeangebot für Arcelor abgab.

Nach einer turbulenten, mit allen Mitteln global geführten Verhandlungsschlacht nahm Arcelor im Juni 2006 das Übernahmeangebot des Konkurrenten an.

 

Auf dem Gelände des ehemaligen Stahlwerks Esch-Belval entsteht ein neues städtisches Quartier; links der Neubau der Zentrale der DEXIA-Bank
Foto: Thomes 2009

Der Weg war damit frei für den als ArcelorMittal firmierenden, mit Abstand weltgrößten Stahlkonzern, der zugleich zu den größten globalen Unternehmen zählt. Eine Bedingung für das Zustandekommen der 2007 abgeschlossenen Vereinigung war, dass das Unternehmen seinen Firmensitz und seine Zentrale in Luxemburg behalten sollte.

Heute beschäftigt die Stahlindustrie des Landes noch rund 6 000 Mitarbeiter. Sie erwirtschaften weniger als drei Prozent der Bruttowertschöpfung, während ArcelorMittal von Luxemburg aus 2008 einen Umsatz von 125 Milliarden Euro bei weltweit rund 316 000 Mitarbeitern verantwortete.

Rund ein Drittel der Stahlproduktion entfällt auch heute noch auf Westeuropa. In Bezug auf die Eisen- und Stahlindustrie entwickelte sich das Land seit den 1970er Jahren vom führenden Produktionsstandort zum Managementstandort, eine in der Tat außergewöhnliche Geschichte, die Ihresgleichen sucht. 

 

Quellen


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Externe links 


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