Warndt

GK009 Wadgassen

Cristallerie Wadgassen 1925
Quelle: Archiv V&B   

Cristallerie Wadgassen

Villeroy & Boch
Saarstr. 14
D-66787 Wadgassen, Saarland 

gegr. 1842

Weißhohlglas, Pressglas, Kristallglas


Eva Mendgen

Die bereits in der Steingutfabrikation erfolgreichen Unternehmer Alfred Villeroy und Johan Franz Boch richteten in der ehemaligen Prämonstratenserabtei in Wadgassen eine Weißhohlglashütte ein, die "Cristallerie Villeroy, Karcher & Comp".

Der aus Lothringen stammende Großvater von Alfred, Nicolas Villeroy, hatte die Abtei bereits nach der Säkularisierung, 1798, erworben. Miteigentümer waren Eduard Karcher, der 1883 ausschied, und der Lothringer Eugen Raspiller, dessen Familie unter anderem die Fenner Glashütte besaß.

Laut Concessions-Urkunde von 1899 unterhielt die "Firma Villeroy & Boch ... seit dem Jahre 1842 in der Gemeinde Wadgassen ... eine Weißhohlglashütte", "Gegenstand der Fabrikation ist Weißhohlglas, Preß- und Krystallglas", wobei sich die Hütte auf die Produktion von Kristallglas spezialisierte.

Produktkatalog 1868, Firmenarchiv V&B
Foto: E. Mendgen

Glasbläser der Cristallerie Wadgassen 1893
Quelle: Archiv V&B

Die Fabrik wurde nach dem Vorbild von Baccarat eingerichtet, der erste Arbeitstag war nach einer Notiz des später in die USA ausgewanderten Glasmachers Kopp der 26.08.1842.

Die Mehrzahl der Glasmacher kam aus den alten lothringischen Glasmacherzentren: Baccarat, Lemberg, Soldatenthal, Meisenthal oder Schoenecken.

Umgekehrt arbeiteten später Glasmacher und -schleifer aus Wadgassen in Lothringen (Meisenthal, Lemberg).

Der Standort Wadgassen eignete sich ausgezeichnet für eine Glashütte: Die nahegelegene Grube Hostenbach gehörte dem Mettlacher Unternehmen, und so konnten die Glasöfen von Anfang an mit Koks befeuert werden.

Die neue Hütte profitierte vom Savoir-faire der lothringischen Glasmacherfamilie Raspiller (Louisenthal, Fenne), die mit den Brüdern Eugen und August die beiden ersten technischen Direktoren der Kristallerie stellte.

Es entstand ein für damalige Zeiten ausgesprochen moderner Fabrikbetrieb, in dem die Rohglasproduktion und ihre Veredlung am selben Ort und nicht etwa - wie z.B. in der nordböhmischen Glasindustrie - in Heimarbeit vorgenommen wurden.

In Konkurrenz zu Saint Louis, Baccarat, Val-Saint-Lambert und den rheinischen Glashütten (Köln-Ehrenfeld) belieferte Wadgassen den französischen und deutschen Markt mit Kristallglasartikeln. Die Produkte wurden auf der Saar eingeschifft, spätestens ab 1868 auf die Eisenbahn verladen.

Produktkatalog Wadgassen 1868, Firmenarchiv V&B
Foto: E. Mendgen

Glasschleifer in der Cristallerie Wadgassen, Archiv V&B
Foto: E. Mendgen

Die Hütte expandierte stetig, 1883 beschäftigte sie 325 Mitarbeiter, 1892 waren es schon 503, davon etwa die Hälfte Schleifer und Graveure.

Hinzu kamen Häfner, Heizer, "Hüttermädcher", die bei der Verpackung und in der Absprengerei tätig waren, Glasmaler und anderes Personal.

1899 wurde in Wadgassen Tag und Nacht gearbeitet und die Schichten um 6 Uhr morgens und abends gewechselt.

Veredelungsabteilungen waren: Schleiferei, Malerei, Gravur und Glanzgravur, Guillochage und Vergolderei.

Nach dem 1. Weltkrieg wurden jedoch die meisten Veredelungsarten mehr oder weniger aus Rentabilitätsgründen eingestellt, zugunsten der Schleiferei. Man fing an zu spezialisieren.

Man spezialisierte sich auf Tafelgarnituren und Trinkgefäße, sowie in den 1880er Jahren auf "Kunsterzeugnisse".

Dazu gehörten unter anderem Prunkpokale und Bowlen, aber auch Römer, die in den gebrochenen Farben "Antikgrün", „Antikgelb“, "Seeblau", sowie in Weiß, glatt oder graviert, erhältlich waren.

Wadgassen hatte schon im ersten Firmenkatalog drei Römer angeboten, dieses  Rheinweinglas par excellence sollte später zu einem Produktionsschwerpunkt werden.

Nach 1900 brillierte Wadgassen mit farbigen Überfängen und aufwendigen, geschliffenen Dekoren, die, wenn auch in vereinfachter Form, bis in die 1920er Jahre beibehalten wurden.

Römer, 1880er Jahre, Keramikmuseum Mettlach Foto: E. Mendgen

 

Römergläser im Produktkatalog Wadgassen 1868, Firmenarchiv V&B
Foto: E. Mendgen

Ebenso wie in vielen anderen Glashütten sind heute die Personen, die für die Formgebung der Produkte verantwortlich waren, nur in Ausnahmefällen bekannt, wie der 1885 in Saint Louis (Münzthal) geborene Glasschleifer Edmund Rigot, Sohn eines Glasmachers aus Wadgassen.

1929 – 1934 arbeitete Rigot als Glaskünstler für die Cristallerie und entwickelte in Anlehnung an die Kunstglasmarke "d’Argenthal" (Saint Louis/Münzthal) überfangene und geätzte Vasen (Die Vermarktung erfolgte unter der Bezeichnung "Vibo-Kunstglas").

Rigot hatte als Glasschleifer in Saint Louis bei Paul Nicolas, einem bewährten Mitarbeiter von Emile Gallé, sein Handwerk erlernt.

Formensprache, Ornamentik und Technik greifen auf den mehr als eine Generation zuvor unter Gallé entwickelten Art Nouveau in Lothringen zurück.

Die Geschichte der Kristallfabrik ist in den Jahren zwischen 1914 und 1955 von zahlreichen Schwierigkeiten geprägt. Die bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges florierende Hütte wurde 1917 teilweise stillgelegt und zur Lagerung von Kriegsmaterial benutzt.

1918 wurde der Betrieb wieder aufgenommen und die Schleiferei durch Heranziehen von Arbeitskräften aus Saint Louis-lès-Bitche modernisiert. 40 - 50% der Produktion gingen jetzt nach Frankreich; 1935 erfolgte aufgrund der Rückgliederung des Saarlandes an Deutschland die erneute Umstellung auf den deutschen Markt.

1939 und 1944 wurde die Belegschaft evakuiert, 1945 die Produktion bereits wieder aufgenommen. 1946 arbeiteten hier 240, im Jahr darauf 305 Personen. Es folgten die Erweiterung und Modernisierung der Hütte, sowie ihre Ausstattung mit Ferngas, die Vergrößerung der Schleiferei und die Einrichtung eines Fließbandes.

Mit der Angliederung an Frankreich hatte man sich erneut dem französischen Markt anzupassen.

Vase von Paul Rigot, Keramikmuseum Mettlach Foto: E. Mendgen

 

Katalog 1948, Firmenarchiv
Foto: E. Mendgen

Fürs Erste wurden Gebrauchsartikel hergestellt, aber bald schon wurde die Produktion von "Kelchgläsern" wiederaufgenommen.

1954 hatte eine Untersuchung gezeigt, dass bei dem im Verkauf billigeren Spezialkristall nur ein Bruttogewinn von 11,3% gegenüber 28,9% für Bleikristall erzielt wurde (Bericht über die Schaffung neuer Kalkulationsgrundlagen in der Kristallfabrik Wadgassen). Konsequenterweise erfolgte die Umstellung auf die alleinige Verwendung von Bleikristall.

Die Geschichte der Kristallglashütte in Wadgassen verdeutlicht exemplarisch die Schwierigkeiten, mit denen die Industrie an der Saar zu kämpfen hatte:

Gingen vor dem 1. Weltkrieg noch 60% der Produktion ins Deutsche Reich, zu dem das 1871 annektierte Elsass-Lothringen gehörte und 40% in die ganze Welt - um 1900 sind die Produktkataloge in mehreren Sprachen abgefasst, zum Beispiel in Englisch, Spanisch und Portugiesisch – so gingen nach dem 1. Weltkrieg 40-50% der Produktion nach Frankreich; 1935 erfolgte aufgrund der Rückgliederung des Saargebiets an Deutschland die erneute Umstellung auf den deutschen Markt.

Mit der Angliederung an Frankreich nach dem 2. Weltkrieg hatte man sich erneut dem französischen Markt anzupassen, und nach 1959 brachte die Rückgliederung an Deutschland einen vorerst erheblichen Produktionsrückgang mit sich, der wenige Jahre später allerdings wieder aufgeholt war:

1963/64 stellten über 400 Arbeiter "Kelchglasgarnituren in Bleikristall" her, von Hand gefertigte Markenartikel, die international gefragt waren. Es erfolgte die Umbenennung in "Cristallerie". 1985 arbeiteten in der Cristallerie in Wadgassen noch 400 Personen. Heute (2009) gibt es hier nur noch eine Show-Glashütte.

Gleich nebenan steht noch die funktionslos gewordene alte Kristallglashütte, laut Studie der IndustrieKulturSaar das letzte bauliche und technische Dokument der Glasverarbeitung im Saarland mit dem Potenzial zu einer Landmarke mit einzigartigem Charme. 

Kristallerie Wadgassen, Teller von V&B, Keramikmuseum Mettlach
Foto: E. Mendgen

Glasbläser der Cristallerie Wadgassen, 1893
Quelle: Archiv V&B
Glasbläser der Cristallerie Wadgassen, 1957
Quelle: Stadtarchiv Saarbrücken
Kristallgläser, Wadgassen, 1950er Jahre
Quelle: Landesarchiv des Saarlandes

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Quellen


Archiv Villeroy & Boch

Burg, J. und Treinen 1991: Die Einwohner der Gemeinde Wadgassen von 1650 - 1875, 3 Bde., Ludweiler

Glaser, H. und W. Kräuter 1989: Industriesiedlungen, Saarbrücken

Heimatkundlicher Verein Warndt e.V. (Hrsg.) 1999: Die Glashütten im Warndt, Völklingen-Ludweiler

Heimatkundlicher Verein Warndt e.V. (Hrsg.) 2006: Der/Le Warndt, Völklingen

Hiegel, H. 1957: Die Glashütten der deutschen Ballei von 1600 bis 1632, Saarbrücker Hefte 6, 1957, S. 35-49

Jentsch, C. Variation und Auflösung einer Form: Römer aus Wadgassen. In: Weltkunst, Nov. 1998, S. 2435 ff.

Mendgen, E. 2009: Der Warndt - SaarMoselle Avenir: Industrie-Kultur-Landschaft aus der Großregion, Versuch einer kritischen Würdigung. In: Luxemburger Wort, 8.05.2009 (Kulturbeilage „Die Warte“)

Neutzling, W. 1999a: Glashütten und Glasmacher im Warndt. In: Heimatkundlicher Verein Warndt e.V. (Hrsg.) 1999: Die Glashütten im Warndt, Völklingen-Ludweiler, S. 11-153

Neutzling, W. 1999b: Wadgassen. In: Die Glashütten im Warndt, Völklingen, S. 145-147

Neutzling, W. 1989: Die Glasmacherfamilie Raspiller, Saarbrücken

Saarbrücker Druckerei und Verlag (Hrsg.) 1981: Wadgassen vormals - Alte Fotos aus einer saarländischen Einheitsgemeinde, mit Fotos aus den Sammlungen von Hans Rigot, Wadgassen und Adolf Morschett, Differten, Saarbrücken

Saarbrücker Zeitung 1935: 800-Jahrfeier der Abtei Wadgassen (Archiv V & B, Merzig)

Schack von Wittenau, C. 1971: Glas zwischen Kunsthandwerk und Industriedesign, Diss. Köln

Scharwath, G. 1993: Bouteillen und Trinkgläser. In: Saarbrücker Zeitung 23./24.10.1993

Schmitt, A. 1989: Denkmäler Saarländischer Industriekultur, Saarbrücken

Schneider, E. 1999: Zur Geschichte der Cristallerie Wadgassen. In: Heimatkundlicher Verein Warndt e.V. (Hrsg.) 1999: Die Glashütten im Warndt, Völklingen-Ludweiler, S. 309-314

Externe Links


V&B Erlebniszentrum Wadgassen external link

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