Atypische Grenzgänger

Atypische Grenzgänger in der Großregion SaarLorLux (Überblick)

 

Christian Wille / Interregionale Arbeitsmarktbeobachtungsstelle (2011)

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Einführung


Die Karte zeigt die Wohnorte der Erwerbstätigen mit luxemburgischer Nationalität, die außerhalb des Großherzogtums in der Großregion wohnen und in Luxemburg arbeiten. Ein wesentliches Merkmal der atypischen Grenzgänger ist die vorausgegangene grenzüberschreitende Wohnortmobilität.

Überblick


Die Großregion kennzeichnet sich durch einzigartige Arbeitsmarktverflechtungen zwischen ihren Teilgebieten. Das grenzüberschreitende Pendeln über nationale Grenzen wurde durch den Europäischen Einigungsprozess spürbar erleichtert, in dessen Zuge der Status des Grenzgängers unter sozial- und steuerrechtlichen Gesichtspunkten definiert wurde.

Diese Definition unterscheidet jedoch nicht zwischen Grenzgängern, die aus ihrer ‚angestammten Region’ ins benachbarte Ausland pendeln und solchen, die aus dem benachbarten Ausland in die ‚angestammte Region’ an ihren Arbeitsplatz kommen. Das letztgenannte atypische Grenzgängerwesen gewinnt in der Großregion jedoch zunehmend an Bedeutung.

Im Kontext der grenzüberscheitenden Wohnort- und atypischen Arbeitnehmermobilität werden in diesem Beitrag die Motive der atypischen Grenzgänger sowie Fragen der räumlichen Organisation von Alltagspraktiken im Zuge des Wohnortwechsels untersucht. Ferner werden Aspekte des sozialen Zusammenlebens am Wohnort beleuchtet und die subjektive Bewertung der Wohnsitzverlagerung dargelegt. Die Betrachtung dieser Teilaspekte erfolgt vergleichend am Beispiel der atypischen Pendelbewegungen an der saarländisch-lothringischen und luxemburgischen Grenze.

Karte: Atypische Grenzgänger

Karte: Atypische Grenzpendler

Christian Wille, Université du Luxembourg / IBA

Der luxemburgische Grenzort Schengen, in dem das danach bezeichnete Abkommen unterzeichnet wurde, steht symbolisch für die Freizügigkeit der Genzgänger
Foto: C. Wille 2009

Die Zusammenschau der atypischen Pendelbewegungen zeigt, dass Lothringen als bevorzugte Wohnregion sowie Luxemburg und die deutschen Bundesländer als Arbeitsregionen von besonderer Bedeutung sind. Das Phänomen hat sich in den letzten Jahrzehnten besondere in Lothringen und in den Anrainerregionen Luxemburgs entwickelt.

Die hier pendelnden atypischen Arbeitnehmer wohnen zumeist in dörflichen Gemeinden in unmittelbarer Grenzlage und sind eher den jüngeren bis mittleren Altersgruppen zuzurechnen. Die Gründe für den Wohnortwechsel leiten sich weitgehend aus dem Anliegen ab, Wohneigentum zu erwerben und dabei von regionalen Preisunterschieden zu profitieren. So spielen regionale Differenzen hinsichtlich der Preise für Baugrund und Immobilien eine Rolle sowie bestimmte Ereignisse der Lebensspanne.

Mit Blick auf die atypischen Grenzgänger in Richtung Luxemburg ist die Besonderheit auszumachen, dass sich unter ihnen viele Franzosen, Belgier und Deutsche befinden, die durch den Wohnortwechsel in ihr Herkunftsland zurückkehren. Die Wohnsitzverlagerung ist im Allgemeinen mit einem Hauskauf oder -bau und damit mit einem verbesserten Wohnkomfort verbunden.

Durch die Beibehaltung des Arbeitsplatzes in der ehemaligen Wohnregion verlängern sich für atypische Grenzgänger die Anfahrtswege an den Arbeitsplatz. Ihr Aktivitätsraum dehnt sich demnach aus, jedoch bleibt die räumliche Organisation der Alltagsaktivitäten weitgehend auf die ehemalige Wohnregion zentriert. Dies ist neben bestehenden sozialen Bindungen vor allem auf die Strukturen der Freizeit- und Dienstleistungsangebote zurückzuführen.

Am neuen Wohnort bewirkt die wachsende Nachfrage nach Wohneigentum eine Anhebung von Boden- und Immobilienpreisen, was mancherorts zu Spannungen zwischen Zugezogenen und autochthonen Einwohnern führt. Ferner ist die Tendenz auszumachen, dass die Zugezogenen weitgehend in modernen Neubaugebieten außerhalb der gewachsenen Siedlungskerne unter sich bleiben, was den Kontakt mit der autochthonen Bevölkerung nicht begünstigt. Besonders in Lothringen ist die Frage der sprachlichen Verständigung zwischen beiden Personengruppen von Bedeutung, wobei der Dialekt eine sprachliche Brücke bauen kann.

Rückblickend bewerten die atypischen Grenzgänger ihren Wohnortwechsel positiv, gleichwohl einige von ihnen aufgrund der längeren Anfahrtswege wieder in ihr ehemaliges Wohnland zurückgekehrt sind.

Atypische Grenzgänger in der Großregion nach Stromrichtungen 2009
Eigene Zusammenstellung auf Basis von IGSS (Luxemburg), BA (Saarland und Rheinland-Pfalz), INSEE (Frankreich), ABEO (Belgien)
Die Betrachtung des atypischen Grenzgängerwesens hat verschiedene Merkmale dieser grenzüberschreitenden Mobilitätsform zu Tage gefördert. Dabei ist auch deutlich geworden, dass eine umfassende Betrachtung der gesamten atypischen Pendelbewegungen in der Großregion noch aussteht, ebenso wie eine Aktualisierung der bereits vorliegenden Studien. Außerdem ist eine Vielzahl an qualitativen Fragen, die insbesondere das Zusammenleben von Zugezogenen und autochthoner Bevölkerung betreffen, noch vollkommen unbearbeitet. 

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