GR-Kooperation
Entwicklungen und Strukturen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Großregion (Überblick)
Christian Wille (2011)
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Die Karte zeigt verschiedene Gebietabgrenzungen der Großregion sowie kleinere Projektregionen. Die Unterschiedlichkeit des räumlichen Zuschnitts, die auch als „géométrie variable“ (Schulz 1997: 36) bezeichnet wird, ergibt sich aus den vielfältigen Kooperationskulissen und Projekterfordernissen.
Die größte räumliche Ausdehnung des politisch-administrativen Kooperationsgebiets „Großregion“ umfasst das Saarland, Lothringen, Luxemburg, Rheinland-Pfalz und Wallonien. Dieser Gebietszuschnitt variiert jedoch in der Praxis der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Denn angesichts der strukturellen Verflechtungen zwischen den Teilgebieten, der beteiligten Akteure und Kooperationsnetzwerke bilden sich unweigerlich unterschiedliche Konstellationen der Zusammenarbeit heraus. In diesen Beitrag werden diese über Jahrzehnte hinweg gewachsen Strukturen der internationalen, interregionalen und grenznachbarschaftlichen Kooperation in der Großregion vorgestellt. Die Betrachtung erfolgt ab den späten 1960er Jahren über die 1990er Jahre, in denen die grenzüberschreitende Zusammenarbeit an allen EU-Binnengrenzen einen deutlichen Entwicklungsschub erfuhr; bis in die 2000er Jahre, in denen eine spürbare Verfestigung der grenzüberschreitenden Kooperation einsetzt. Die jeweiligen Entwicklungen werden an die entsprechenden Rahmenbedingungen, die unter anderem von Brüssel gesetzt werden, rückgebunden und nach Akteursebenen differenziert. |
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Schengen-Gedenksteinhttp://gr-atlas.uni.lu/index.php/de/articles/po60/gr799?task=view&id=1974#sigProId8457ef4cf9 Foto: C. Wille |
Die Betrachtung von mehr als 40 Jahren grenzüberschreitender Zusammenarbeit in der Großregion gibt einen Einblick in zentrale Entwicklungen. Die Zusammenarbeit zwischen den Teilgebieten basierte zwar anfänglich auf ähnlichen Wirtschaftsstrukturen und krisenbedingten Notwendigkeiten, gleichwohl ist das heutige Kooperationsgeflecht nicht nur als Ergebnis einer ökonomischen Schicksalsgemeinschaft zu werten. Vielmehr ist durch den gemeinsamen Willen der politisch Verantwortlichen und durch die europäische Regionalpolitik ein differenziertes Netzwerk von institutionellen Strukturen auf unterschiedlichen Ebenen entstanden, dessen rechtlich-institutionelle Verfasstheit von losen und auf Freiwilligkeit basierenden Kooperationsverbünden bis hin zu internationalen Vereinbarungen reicht. Dazu gehört die Ende der 1960er Jahre ins Leben gerufene deutsch-französische Regierungskommission auf Ebene der Außenministerien, der 1971 auch Luxemburg beitrat. Um in ihre Arbeiten – die sich in den Folgejahren vorrangig auf die Probleme der Kohle- und Stahlindustrie konzentrierten – auch die regionalen Gebietskörperschaften einzubeziehen, wurde 1971 die Regionalkommission SaarLorLux – Trier/Westpfalz eingesetzt. Die Zusammenarbeit und Aufgaben beider Gremien wurden im Notenaustausch von 1980 vertraglich geregelt. |
In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre entfaltete sich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf der Ebene der Legislative, der Kommunen und der Wirtschaftspartner. So wurde 1986 der Interregionale Parlamentarierrat eingerichtet, ferner wurde die Vorläuferstruktur der heutigen EuRegio SaarLorLux+ gegründet. Außerdem schlossen sich die Handwerkskammern und die Industrie- und Handelskammern grenzüberschreitend zusammen. Die 1990er Jahre sind – insbesondere durch die Förderung der Europäischen Union – von einer weiteren Ausdifferenzierung und Vervielfachung der grenzüberschreitenden Initiativen und Kooperationsstrukturen gekennzeichnet. Im Jahr 1995 wurde das bis heute höchste politische Gremium der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit – der Gipfel der Großregion – eingerichtet. Außerdem wurde der Wirtschafts- und Sozialausschuss der Großregion (1997) gegründet, der wiederum die Interregionalen Arbeitsmarktbeobachtungsstelle initiierte. Auch auf kommunaler Ebene kam es zu weiteren grenzüberschreitenden Initiativen, wie etwa zur Gründung des Vereins SaarMoselle Avenir (1997), des Städtenetzes Quattropole (2000) oder Lela+ (2006). |
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Entwicklung und Strukturen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in der Großregionhttp://gr-atlas.uni.lu/index.php/de/articles/po60/gr799?task=view&id=1974#sigProIdd898ef197d *seit 2005 ist Wallonien Mitglied der Regionalkommission; **seit 2010 als EVTZ Eigene Zusammenstellung und Darstellung |
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Moselbrücke über die deutsch-luxemburgische Grenzehttp://gr-atlas.uni.lu/index.php/de/articles/po60/gr799?task=view&id=1974#sigProIdb079be4f60 Foto: C. Wille |
Seit der Jahrtausendwende sind verstärkt Bemühungen zur weiteren Verfestigung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auszumachen. So wurde bspw. vom 7. Gipfel der Großregion (2003) das „Zukunftsbild 2020“ vorgelegt, in dem strategische Leitlinien für die politische Kooperation formuliert werden. Ferner wurde 2005 eine Neufassung des Notenaustauschs von 1980 ausgehandelt, in welcher der Partnerstatus Walloniens festgelegt und Lothringens gestärkt wurde und die Rolle der inzwischen existierenden Gremien der regionalpolitischen Kooperation verankert wurde. Schließlich wurde das von der Europäischen Kommission eingeführte Instrument des Europäischen Verbunds für Territoriale Zusammenarbeit genutzt, um grenzüberschreitende Zweckverbände mit eigener Geschäftsfähigkeit einzurichten. Der chronologische Abriss über die Kooperationsstrukturen in der Großregion zeigt insgesamt drei sich überlappende Entwicklungsphasen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf. Dazu zählt die Konstituierung der ersten Kooperationsstrukturen Anfang der 1970er Jahre, die anfänglich auf zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen Deutschland, Frankreich und Luxemburg beruhten. |
Die 1980er und 1990er Jahre sind von einer Ausdifferenzierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit nach verschiedenen Akteursebenen geprägt bei einer Stärkung der regionalpolitischen Zusammenarbeit. Etwa ab der Jahrtausendwende differenziert sich die kommunale Zusammenarbeit weiter aus und bereits bestehende Kooperationen – insbesondere die Zusammenarbeit der Partner der Exekutive – werden stärker professionalisiert und verfestigt. |